Weit wegziehen, um immer wiederzukommen

Ein Erfahrungsbericht von Sofia von Schledorn aus Kirchhundem. Derzeit Journalismus-Studentin im 2. Semester in Darmstadt.
„Ich fahr nach Hause“, sage ich zu meiner Freundin in Darmstadt. Damit meine ich meine 63 qm große Wohnung – die ich mir mit zwei anderen Studenten teile. Ich fahr also nach Hause, in mein relativ großes 17-qm-Zimmer, koche mir Nudeln zum Abendessen und trinke mit meinen zwei Mitbewohnern ein Bier an unserem Küchentisch, der im Flur steht. Wir haben kein Wohnzimmer, also dient der Flur als Aufenthaltsraum. Wir sind zu dritt in der Wohnung, doch wenn mein Freund und die Freundin von meinem Mitbewohner auch noch mitessen, dann wird es im Flur manchmal ganz schön eng. Aber das ist okay, denn wir sind ja Studenten und Studenten dürfen keinen Luxus haben – sonst wären sie ja keine Studenten! Unsere Stühle und unseren Tisch haben wir vom Sperrmüll aufgesammelt, genauso wie unseren Grill und zahlreiche Bilder an der Wand. Die dunkelbraunen Ledersessel, die als Stühle dienen, sind bereits etwas kaputt und das Sitzkissen ist schon aufgerissen. Aber bis jetzt waren wir zu faul, neue Sitzkissen zu kaufen oder auf Sperrmülljagd zu gehen, um neue Stühle zu ergattern. Also bieten wir unseren Gästen voller Stolz aufgeplatzte Sitzmöglichkeiten an.
Unsere Wohnung ist klein, aber fein. Genau wie unser Balkon, der der kleinste im ganzen Mehrfamilienhaus ist. Durch Improvisation haben wir auf der Mauer ein paar Sitzplätze geschaffen und die Fensterbank dient als Ablage. Zwar verkleinern Bierkästen den Balkon um einiges, doch bieten sie auch Platz für unsere Fritteuse. Jeder sollte eine Fritteuse haben! Unser Grill ist so groß, dass er nicht mal auf den Balkon passt, also steht er mitten im Zimmer von meinem Mitbewohner. So wie es sich gehört, laden immer diejenigen ein, die die kleinste Wohnung haben. Also haben wir schon des Öfteren Freunde zum Essen eingeladen. Die Bude sah danach aus wie ein Schlachtfeld, vor allen Dingen unsere relativ keine Küche, in der zusammen gekocht wurde. Wein oder Bier ist immer im Haus und unsere Jägermeister-Shot-Gläser stehen auch immer bereit.
Am Wochenende kommen meine Eltern zu Besuch. Ich habe den ganzen Tag die Wohnung geputzt und staubgesaugt, damit alles tipptopp aussieht. Unsere Wohnung ist sehr schön, wenn auch recht klein und nicht immer perfekt sauber. Aber wer hat mitten in der Klausuren-Phase auch schon Zeit für Hausputz? Meine Mitbewohner studieren Maschinenbau und Wirtschaftsingenieurwesen: Herzlichen Glückwunsch, denn so wird die Bibliothek quasi zu ihrem zweiten Zuhause. Ich habe schon früh Semesterferien, also kommen meine Eltern, um mich anschließend mit ins Sauerland zu nehmen. Ich bleibe für den Sommer zu Hause – also bei meinen Eltern –, weswegen einige Sachen und Klamotten mitgenommen werden müssen.
Im Sauerland angekommen, packe ich in meinem Kinder- und Jugendzimmer meine Sachen aus. Nichts hat sich verändert: Immer noch die Blümchentapete unter der Schräge und die fliederfarbenden Wände. Auch der gehasste blaue Teppichboden ist immer noch an Ort und Stelle. Mein Zimmer ist viel kleiner, als das in meiner WG in Darmstadt, aber es ist ja auch mein Kinderzimmer.
Am Abend wird gegrillt. Die ganze Familie kommt auf unserer riesigen Terrasse zusammen, mit viel Platz für einen großen Grill, Tisch und Stühle, Heizstrahler, Liegestühle, Sonnenschirm und Hängematte. Mein Onkel, mein kleiner Cousin und meine kleine Cousine kommen vorbei und Papa grillt für uns. Ich muss nichts machen – zumindest heute Abend noch nicht. In meinem Kinderzimmer, direkt am Waldrand, ist es immer kühler und ruhiger als in den anderen Zimmern. Ich schlafe wie ein Baby und werde morgens von Vogelgezwitscher geweckt. Unser Bad hat zwei Waschbecken, so können wir uns gleichzeitig die Zähne putzen und uns fertig machen. In der Küche frühstücken wir zusammen und im Wohnzimmer auf der großen Ledercouch habe ich meinen Lieblingsplatz wieder für mich entdeckt. Endlich wieder Fernsehgucken! Ich bin kein exzessiver Fernsehgucker, weswegen ich in Darmstadt auch keinen eigenen Fernseher habe, aber Filme und Serien immer nur auf meinem kleinen Laptop gucken zu können, nervt manchmal. Zu Hause haben wir nicht nur einen Fernseher, sondern auch einen Beamer: Ein Sommer lang Luxus pur!
Wenn wir einkaufen müssen, fahren wir mit dem Auto. In Darmstadt heißt es da, die Sachen zu Fuß zu schleppen oder sie hinten in den Korb von meinem Fahrrad zu verstauen. Mein Fahrrad hat drei Gänge, davon gehen zwei und es ist original aus den 70er Jahren. Wenn der Korb voll ist, komme ich den Berg zu meiner Wohnung nicht mehr hoch. Mit dem elterlichen Auto hingegen lässt sich eine Menge mehr an Einkauf transportieren und das auch noch ohne einen Tagesbedarf an Kalorien abzubauen. Außerdem trifft man in der Stadt und auch beim Einkaufen Menschen, die man kennt und denen man tatsächlich Hallo sagen kann. Neben dem Weinregal treffe ich meine Freundin und wir plaudern eine ganze Weile. Da kann das Einkaufen auch schon mal länger dauern. Mit Mama oder Papa einzukaufen ist noch viel besser, denn man kann fast alles kaufen, was man will und muss nicht darauf achten, dass man ja nur noch 20 Euro für den Rest des Monats hat und statt der frischen Brötchen fürs Frühstück besser Haferflocken von der Discountermarke kaufen sollte.
Wäschewaschen ist auch so ein Thema. Hier haben wir einen Wäschekorb, dessen Inhalt von Mama gewaschen wird. Zuhause in Darmstadt besitze ich auch einen Wäschekorb, doch der Inhalt scheint sich im Wäschekorb pudelwohl zu fühlen und wird – wenn überhaupt – nur von mir gewaschen. Na ja, irgendwann mal…
Wenn ich im Sauerland Joggen gehe, fällt mir wieder auf, wie sehr ich diese Luft und diese Aussicht vermisst habe: Die Wälder, die weiten Felder und die Berge im Hintergrund, die Waldwege und die Kühe auf den Wiesen. Hier ist alles weitläufig und man fühlt sich wieder daheim und frei. Kein Stress und weniger Verpflichtungen. Man hat seine Familie zu Hause und wieder Geschwister, die sich herrlich nerven lassen. Es wird zusammen gegessen und viel gemeinsam unternommen, Geburtstage gefeiert und Filme geguckt. Man kann seine alten Schulfreunde treffen und mit ihnen genau die Sachen machen, die man früher auch immer gemacht hat. Man muss nicht daran denken, seine einzige Blume im Zimmer zu gießen, und kann sein Geschirr nach dem Essen einfach in die Spülmaschine räumen.
Der ganze weitere Familienkreis wohnt nahe bei: Tante und Onkel mit Cousin und Cousine. Auch Oma wohnt nur zwei Dörfer weiter. Da kommt man doch gerne mal sonntagnachmittags zu Kaffee und Kuchen vorbei oder auch zu einem deftigen Abendessen. Bekanntlich schmeckt es bei Oma ja immer am Besten.
Es ist also immer wieder schön, nach Hause zu kommen und bei seiner Familie zu sein. Man freut sich auf ein paar Tage Familienleben, auf sein altes Zimmer, seinen Lieblingsplatz auf dem Sofa und den Luxus eines großen Fernsehers. Die Stille im Garten und beim Joggen in den Wäldern ist ebenso ein Luxus. Man fühlt sich gleich wieder wie früher. Und egal, in wie vielen Einzimmerwohnungen oder WG’s man gewohnt hat; egal, in wie vielen Städten oder Ländern dieser Welt man sich schon zu Hause gefühlt hat – das eine Zuhause bleibt! Und das gilt auch, obwohl ich nach 8 Wochen Familie um mich herum jedes Mal wieder froh bin, in mein 17-qm-Zimmer zurückkommen zu können.
 
Foto: Ralf Litera für die Aktion „Mit Schirm und Charme“ anlässlich der Schmallenberger Woche 2016