Hilfe zur Selbsthilfe

Das 450 Quadratmeter große Wohnhaus liegt in Schmallenberg im Stadtteil Gleidorf. Es ist bestimmt für junge Menschen auf dem Weg in die Selbstständigkeit. Am 1. Juli eröffnet das Internat Bad Fredeburg dieses neue Gebäude, das nur vier Kilometer vom Haupthaus in Bad Fredeburg entfernt liegt. Über die Hintergründe und die Ziele des neuen Projektes sprach Bernhard Pilgram, Projektkoordinator vom Sozialwerk St. Georg, mit Einrichtungsleiter David Cziudaj.
Herr Cziudaj, am 1. Juli 2017 eröffnen Sie das Haus in Schmallenberg‐Gleidorf mit einem „Verselbständigungsangebot“ für Jugendliche. Was sind die Merkmale eines solchen Projektes?
Die Jugendlichen und jungen Volljährigen, die an dieser Maßnahme teilnehmen, sind aufgrund ihres Alters und Entwicklungsstandes der Rund‐um‐die‐Uhr‐Betreuung entwachsen. Sie benötigen jedoch weiterhin pädagogische Unterstützung in der Ablösephase. Sie verfügen über Fähigkeiten im lebenspraktischen Bereich, die innerhalb dieses Angebotes stabilisiert und ausgebaut werden, mit dem Ziel der völligen Verselbständigung ohne weitere Unterstützung. Unser Verselbständigungsangebot bereitet also auf ein Leben in Selbständigkeit und die Integration in das Berufsleben vor.
Können Sie Beispiele dafür nennen, welche Angebote Sie den „Gleidorfern“ konkret machen?
Da sind zum Beispiel solche lebenspraktischen Dinge wie die alltägliche Versorgung, die Anleitung zur selbständigen Haushaltsführung und zur Eigenständigkeit bei der Vorbereitung und Zubereitung regelmäßiger gesunder Mahlzeiten. Wir üben den Umgang mit öffentlichen Verkehrsmitteln und mit Taschen‐ und Bekleidungsgeld; wir gehen gemeinsam einkaufen; wir begleiten bei Besuchen öffentlicher Einrichtungen und Außenterminen, wie Behördengängen. Die Jugendlichen und jungen Volljährigen werden von den pädagogischen Mitarbeitern unterstützt, die ihnen helfen, den Tagesablauf selbst zu strukturieren und zu koordinieren. Sie unterstützen sie dann auch bei der Wohnungssuche, dem Anmieten, der Ausstattung und dem Umzug in die eigene Wohnung.
Welche Menschen nehmen dieses Angebot in Anspruch?
Wir nehmen Jugendliche, junge Erwachsene zwischen 17 und 21 Jahren auf, die weitgehend in unseren oder anderen Jugendhilfeeinrichtungen verselbständigt worden sind und die über die Existenzsicherung hinaus noch einen Betreuungs‐ und Beratungsbedarf haben. Oder deren Selbständigkeit im Rahmen der Jugendhilfe weiter begleitet und gefördert werden muss. Sie haben keine anderen Unterstützungsmöglichkeiten, wie z.B. die Familie.  Die Einrichtung ist auch ein „Schutzraum“ für junge Menschen mit mangelnder Abgrenzung und Gefährdungen, wie z.B. Heranwaschsende mit Fluchtbezug. Gerade unsere unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge aus dem Internat und den Außenwohnungen haben im letzten Jahr wichtige Entwicklungsschritte gemacht und können sich in diesem Angebot auf eine weitere Lebensphase vorbereiten.
Um es auf den Punkt zu bringen: Ziel des Angebotes ist es, den jungen Menschen die lebenspraktischen Kenntnisse zu vermitteln, die sie für ihr späteres Leben in der eigenen Wohnung benötigen.
Warum wurde dieses neue Angebot geschaffen?
Die Jugendämter suchen in ganz Deutschland  nach  Verselbständigungsangeboten. Im Zuge unseres Aufbaus weiterer Jugendhilfeangebote im Unternehmensbereich Westfalen‐Süd – hier hat mein Kollege Ludger Henkel sehr gute Vorarbeit im Internat geleistet – erweitert dieses Angebot unsere Angebotspalette und ist eine konsequente Weiterentwicklung des Internatsportfolios. Schließlich ist die stationäre Jugendhilfe eine unserer Kernkompetenzen in der Jugendhilfe und soll auch weiterhin strategisch differenziert und diversifiziert werden.
Wieviel Mitarbeiter und junge Menschen sind in dieses neue Projekt involviert?
Für dieses Angebot haben wir 2 Vollzeitstellen für 3 Mitarbeiter (1×100%, 2 x 50%) eingeplant. Ausschließlich pädagogische Fachkräfte mit der Mindestqualifikation Erzieher, Dipl. Sozialpädagoge, Dipl. Sozialarbeiter, Heilpädagogen, Bachelor of Arts (B.A.) oder Master of Arts (M.A.) Soziale Arbeit. Zusätzlich können wir uns einen FSJler / BFDler vorstellen.
Und wie leben die jungen Menschen in dem neuen Wohnhaus?  
Wir haben in der Einrichtung acht Wohnplätze für unsere Jugendlichen. In vier Wohnungen und einer Einliegerwohnung sind sowohl Zweier‐Wohngemeinschaften als auch Einzelwohnen möglich. Im Untergeschoss befinden sich das Mitarbeiterbüro und die besagte Einliegerwohnung für das „Trainingswohnen“, mit jeweils einer separaten Eingangstür. Das Besondere an diesem Angebot ist das „Trainingswohnen“. Wenn der entsprechende Jugendliche kurz vor der völligen Verselbständigung steht, kann er die „pure“ Selbständigkeit unter Betreuung in dieser Wohnung trainieren. Im Erd‐ und Obergeschoss befinden sich je zwei Zweier‐Wohngemeinschaften. Jeder Bewohner hat sein eigenes Zimmer. Man teilt sich ein großes Wohnzimmer, eine Wohnküche und das Bad mit seinem Mitbewohner. Das Grundstück hat einen Garten. Es gibt eine große Terrasse und einen Grillplatz.
Was sind die Grundvoraussetzungen für die Aufnahme?
Die Motivation zu einer eigenverantwortlichen Lebensführung sowie die konstruktive Mitarbeit an den Hilfeplanzielen ist Grundvoraussetzung für eine Aufnahme in diese Wohnform. Wir nehmen zum Beispiel keine Menschen auf, denen die grundsätzliche Bereitschaft zur Mitarbeit fehlt. Sind Alkoholmissbrauch oder Drogenabhängigkeit im Spiel, müssen wir ebenfalls „nein“ sagen. Ebenso wenn erhöhter Pflege‐ oder akuter klinischer Behandlungsbedarf besteht. Liegt akute Suizidalität vor oder auch massiv körperlich aggressives Verhalten, ist das für uns auch ein Ausschlusskriterium.